Apr 29, 2014

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Wiesnzelt-Vergabe: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul

Wiesnzelt-Vergabe: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul

Gestern wurde ja bekannt, wer auf den Steuerhinterzieher Sepp Krätz als Wiesenwirt folgen darf. Nach geheimer Sitzung des Münchener Stadtrats wurde der nun frei gewordene Platz auf der Theresienwiese an Siegfried Able mit seinem Zeltkonzept „Marstall“ vergeben. Able ist seit 1982 in der Münchener Gastronomie tätig und seit 20 Jahren schon auf dem Oktoberfest vertreten.

Auf dem ersten Blick sieht diese Wiesnzelt-Vergabe also nach einem beherzten „Keine Experimente“ aus, nach einer Stimme für gerechte Entlohnung von Fleißarbeit, kurz: nach einer äußerst sinnvollen Entscheidung. Denn Able verkauft seit 20 Jahren Mandeln, Eis, und Spanferkelbrötchen auf der Wiesn, und seit 2008 betreibt er dort ein kleines, beliebtes Zelt – den Kalbskuchl. Warum also nicht einen nehmen, der sich schon im Kleinen auf der Wiesn behauptet hat, der aber noch nicht die Chance hatte, sich mit einem größeren Zelt zu beweisen?

Auf den zweiten Blick ist das alles viel komplizierter. Und auf dem dritten und auf den vierten… Wenn sich gut etablierte Wiesnwirte à la Schottenhamel und Kuffler, die sich ebenfalls auf den freien Platz beworben haben, beklagen, sie hätten ebenfalls massig Wiesnerfahrung, mögen zwar einige von uns mit den Augen rollen: Habt ihr doch schon große Zelte und macht ihr doch schon großes Geld damit! Scheut doch nicht vor Konkurrenz! Recht haben sie trotzdem insofern, als sie nach dem, was wir vom Punktevergabeverfahren des Stadtrats wissen, mit ihrer Erfahrung gut vor Able hätten landen sollen. Das Vergabeverfahren hält also wahrscheinlich nicht das, was es verspricht.

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In diesem Zelt hat Sepp Krätz Steuern in großen Stil hinterzogen.

Diejenigen, die immer noch nicht für Schottenhamel, Käfer & Co. eine Träne rausquetschen können, können sich vielleicht in die Lage von anderen kleineren Bewerbern hineinfühlen, die von Able mysteriöserweise ausgestochen wurden – einige denken an Stiftl, der trotz seiner bisherigen Geschäftigkeit auf Volksfesten in ganz Bayern hinter Able im puncto Volksfesterfahrung lag. Viele erklären sich Ables überraschenden Sieg damit, dass er von irgendwo her Hilfe hatte: Warum, wird gefragt, hat er sich – offenbar siegesgewiss – nicht wieder auf den Platz für sein Kalbskuchl beworben? Wieso konnte seine Planung für den angebotenen Platz – die, wie es aus Stadtratkreisen heißt, „bis auf den Quadratzentimeter“ gepasst haben soll – so kundig ausfallen, wenn ihm einer aus der Stadtverwaltung nicht exakte Daten über die Fläche zugeschanzt hatte?

Aber das sind alles Vermutungen. Wir wollen hier ausdrücklich keinen Verdacht äußern, das Bewerbungsverfahren sei manipuliert worden. Das „Bewerbungsverfahren“ ist derartig kompliziert und von Geheimniskrämerei umgeben, dass alle Bemühungen, es festzunageln und Mängel aufzuzeigen ohnehin ins Leere laufen. Punkteschlüssel, die nicht einsehbar beschrieben sind, Sitzungen hinter geschlossenen Türen: Auch wenn alles in bester Ordnung abläuft, schüren allein solche Rahmenbedingungen doch Verdacht. Die Süddeutsche Zeitung zieht da schon einen Vergleich zum ADAC.

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Die Wiesngeographie wird sich ändern: Kalbs-Kuchl (links im Bild) weg, dafür ein neues Großzelt an der ikonischen Eingangstelle vom Hippodrom.

 

So weit wollen wir nicht gehen. Dass es wünschenswert ist, alles wäre öffentlich zugänglich und die Beratungen der Stadträte zum Thema wären per Livestream verfolgbar, liegt auf der Hand. Dass dies niemals passieren wird, ebenso. Das Ganze findet in einem grauen Bereich statt, der nur schwer einsehbar ist: Konkrete Korruptionsvorwürfe sollen diejenigen machen, die handfeste Informationen haben.

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Able steigt von Kälbern auf Pferde um.

Wir hingegen wollen einfach nur an dieser Stelle ein bisschen rumspinnen. Oder rumreiten. Denn wir stellen mal eine Theorie auf, warum den Stadträten des Wirtschaftsausschusses das Konzept von Able so bestechend vorkam.

Das Zelt von der persona non grata Krätz heißt – *hüstel* – hieß Hippodrom. Der Name kommt vom Altgriechischen Hippodromos und bedeutet Pferderennbahn. Und so eine gab es auch in dem Zelt bis in die 1970er-Jahre. Danach zogen die Pferde aus und die Promis ein. Und nun kommt einer um die Ecke galoppiert mit einem neuen Konzept, das allerdings perfekt in das alte reinpasst – dem Marstall, was ja vom Althochdeutschen Marahstal, also „Mährenstall“, stammt. Viele Ställe in königlichen Höfen wurden dann im 19. oder 20. Jahrhundert umfunktioniert und verschönert. Able ist also schön beim Thema Pferd und Verwandlung geblieben, hat sozusagen seine Hausaufgaben gemacht. Zumal der Münchner Marstall heutzutage das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege beherbergt.

Und um auf diesem Steckenpferd ein wenig weiterzureiten: Bleibt eigentlich nur noch zu erwähnen, dass München mal einen anderen Marstall hatte, der 1808-09 zur Alten Münze umgewandelt wurde. Aus einem Münchener Marstall kann man also buchstäblich eine Münzstätte machen: Im heutigen Jargon nennt sich so was eine Gelddruckmaschine, aber dieses Wort hört sich ja so unpoetisch an…

Wie dem alles auch sei: Wollen wir mal hoffen, dass keine Affäre um diese Vergabe den frisch gemünzten Bürgermeister Dieter Reiter aus dem Sattel wirft. Denn ein neues Festzelt ist ja für Wiesngänger ein Geschenk. Und einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.

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