Mai 4, 2016

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Oktoberfest-Bücher rezensiert

Oktoberfest-Bücher rezensiert

Der Sommer beginnt gerade erst und dessen Ende scheint noch in ferner Zukunft zu liegen. Dennoch sind es eigentlich nur gut vier Monate, bis es wieder „O’zapft is!“ heißt und das Ende der warmen Jahreszeit eingeläutet wird. Ja, das Oktoberfest tröstet darüber hinweg, dass auch die schönsten Monate nicht ewig andauern können. Aber genug der Wehmut! Der Sommer liegt ja noch vor uns. Vielleicht wollt ihr in den kommenden Monaten wegfahren, am Strand liegen mit einem leckeren Cocktail und einem guten Buch? Oder einfach nur zu Hause ausspannen? Dann dürfen Getränke und Lektüre auch nicht fehlen.

Nun, für Getränke müsst ihr zwar sorgen. Aber in Sachen Lesestoff haben wir hier ein paar Empfehlungen: Oktoberfest-Bücher! Wenn ihr diese Bände alle durchhabt, dann ist der Sommer zwar zu Ende – aber ihr wisst dann pünktlich zur Wiesn eine ganze Menge übers Oktoberfest!

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Oktoberfest-Bücher, Bairisch-Wörterbücher, München-Stadtpläne. Alles, was man so braucht für die Wiesn!


Das Oktoberfest: Zwei Jahrhunderte Spiegel des Zeitgeists – Sylvia Krauss-Meyl, 2015

Wir fangen mit diesem, im August vergangenen Jahres veröffentlichten Hintergrundswerk an, da es eine sehr solide, beinahe wissenschaftliche Basis zur Entwicklung und Bedeutung des Festes liefert. Unter „beinahe wissenschaftlich“ dürft ihr zwar ruhig „etwas trocken“ verstehen, denn stilistisch entfacht Autorin Sylvia Krauss-Meyl nun wirklich kein Feuerwerk. Aber das Buch hat wirklich alles, was man an historischem Kontext braucht, um die Rolle des Festes in der Gesellschaft wirklich zu verstehen.

Dieser Band erklärt nämlich, warum das Oktoberfest für Bayern so wichtig ist: Und zwar nicht nur durch die üblichen Bekräftigungen, die auf die tautologische Aussage hinauslaufen, das Oktoberfest sei besonders bayerisch, weil dort alles sehr bayerisch sei. Sondern durch eine Analyse der politischen Absichten der bayerischen Könige, die das Fest seinerzeit unter ihrer Schirmherrschaft und mit viel persönlichem Engagement ausgebaut haben, um erst eine bayerische Identität aufzubauen. Schließlich war Bayern als Staat äußerst jung und viel weniger gefestigt, als man sich bei dem heutigen Selbstbewusstsein des Freistaates gemeinhin vorstellt.

Für uns besonders interessant war zum Beispiel, im Detail zu erfahren, dass die Tracht erst in den späten 1840er-Jahren auf Geheiß von König Maximilian II. auf die Theresienwiese gerufen wurde. Die Autorin stellt das besonders interessante Paradoxon heraus, dass es ausgerechnet dieser am wenigsten „volksnahe“ König war, der damit eine der volkstümlichen Bräuche erst überhaupt angeordnet und gefördert hat – ja, „angeordnet“ und nicht „stattgegeben“. Die Tracht sollte dem bayerischen Nationalgefühl einen visuellen Ausdruck verleihen und war deswegen politisch erwünscht in gerade dem Moment, als die Einwanderung in die Städte sie weniger relevant denn je im Alltag der Bayern gemacht hatte.

Aus solchen historischen Analysen gelingt es der Autorin immer wieder, interessante Bögen bis ins aktuelle Festgeschehen zu spannen. So wird es einem beispielsweise besonders anschaulich, warum bayerische „Landesväter“ vom Typus Strauss oder Seehofer das Fest für ihre Inszenierung so nötig haben, wo es eigentlich spätestens seit dem Ersten Weltkrieg zumindest auf offizieller Ebene ein Fest der Stadt München und nicht des Staates Bayern ist. Zudem erfährt man vieles über die Traditionen der Schausteller und Festwirte und nebenbei viel Exzentrisches und Eigenartiges über das größte Volksfest der Welt.

Es lohnt sich also durchaus, sich mit den teilweise sperrigen Begriffen aus der Kiste der geisteswissenschaftlichen Theorie und dem etwas dürftigen Design des Buches herumzuschlagen. Und das gelingt einem viel besser am Strand, nicht wahr?

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Das Oktoberfest 1810-2010 – Florian Dering, Usrual Eymold, 2010

Erschienen anlässlich des 200. Jubiläums des Festes im Jahr 2010 ist dieser Band in Zusammenarbeit mit dem Münchner Stadtmuseum um Längen anschaulicher als der obige. Dabei fehlt es ihm keineswegs an Tiefgang: Die zahlreichen und in üppigem Farbdruck wiedergegebenen Illustrationen sind fachkundig kommentiert – dabei ist alles von alten Tuschezeichnungen des Festes über alte Lagepläne bis hin zu Vintage-Werbepostkarten.

Dennoch ist dies, gerade wegen der vielen Bilder, eher ein Buch zum Blättern und Nachschlagen. Ohne eine zusammenhängende Erzählung im Kopf, wie die von oben, verzettelt man sich als Leser zu schnell in den einzelnen Details aus verschiedenen Epochen und verliert schnell den Überblick über die Entwicklung des Festes. Dagegen schreibt in einem ausführlichen Vorwort Michael Stephan aus dem Stadtarchiv zwar an. Das Buch ist als Einführung in die Geschichte des Festes aber ungeeignet. Allerdings ist es eine extrem wertvolle Ressource für diejenigen, die schon über mehr als Anfängerkenntnisse verfügen sowie ein Augenschmaus für diejenigen, die sich anschauen wollen, wie das Festgeschehen zu verschiedensten Epochen aussah. Da ist alles von schönsten Biedermeier-Aquarellen der 1820er bis zu beklemmenden Fotografien aus den Nazi-Jahren dabei. Durch die ausgiebige Illustration wird einem klar, wie viel Zeitgeschichtliches immer in dem Fest steckt, das ja gleichzeitig eine Konstante, aber eben auch ein ständig mit der Zeit im Austausch stehendes Ereignis darstellt. Das Buch ist insofern ein bildliches tour d’horizon des Oktoberfestes – und eine tour de force!

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Weitere lesenswerte Oktoberfest-Bücher

Es ist erstaunlich, dass so eine große Komponente einer Weltstadt wie München nicht viel mehr Literatur erzeugt hat. Aber abseits dieser zwei Bände gibt es tatsächlich wenig Empfehlenswertes – ja, wenig überhaupt –, das über die üblichen Kanäle zu beziehen ist. Interessant sind aber Werke zu Teilaspekten des Festes, wie das definitive und für uns Trachtenfans zum Kultwerk gewordene Phänomen Wiesntracht · Identitätspraxen einer urbanen Gesellschaft.: Dirndl und Lederhosen, München und das Oktoberfest, eine Studie über das Zusammenwirken von Tracht und dem Oktoberfest von Simone Eggers, oder Leuchtende Südsee!: Münchens letzte Völkerschau auf dem Oktoberfest 1959 von Patrick Charell. Beide beleuchten aus wissenschaftlicher Sicht, aber auf durchaus für ein breiteres Publikum interessante und zugängliche Weise, Facetten der Kulturgeschichte des Festgeschehens auf der Theresienwiese.

Wer Leuchtende Südsee! im Urlaub auf fernen Stränden liest, wird sich freuen, dass sich das  Fernweh heute stillen lässt, ohne dass man auf menschenverachtende Völkerschauen angewiesen wäre. Heute kommen die Menschen aus allen Herren Ländern als freie und gleichwertige Festbesucher nach München. Und das Fest war nie schöner. Das machen uns alle Oktoberfest-Bücher immer wieder klar.

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